Das dressierte Atom

TEXT ROLAND WENGENMAYR
Die Sonne lockt uns an diesem Mittag nach draußen. Wir sitzen vor der Cafeteria am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München. Gerhard Rempe genießt sichtlich die Campusatmosphäre. Vor allem das warme Sonnenlicht tut gut, und da sind wir schon mitten im Forschungsgebiet des Physikers. Damit wir die Szenerie um uns herum sehen können, müssen unsere Augen Licht empfangen. Unzählige Atome werden von den Sonnenstrahlen zum Aussenden von Licht angeregt, und einen Teil davon fangen Atome in den Netzhäuten unserer Augen ein.
„Die Wechselwirkung von Licht mit Materie ist für unsere Forschung ganz essenziell“, eröffnet Gerhard Rempe das intellektuelle Spiel, das uns Zug um Zug an die Grenzen der heutigen physikalischen Erkenntnis führen wird. Es wird um die Quantenwelt und ihre scheinbaren Verrücktheiten gehen. Wir werden über Schrödingers Katze diskutieren, über verschränkte Quantenzustände und die Frage, wie groß solche Quantenobjekte werden können. Uns wird auch beschäftigen, wie sich daraus zukünftige Quantennetzwerke und Quantencomputer konstruieren lassen.
In Rempes Abteilung machen junge Physiker unterschiedliche Versuche. Ein extremes Experiment zieht sich jedoch wie ein roter – besser gesagt – leuchtender Faden durch Rempes Forschung. Es besteht aus zwei nahezu perfekten Spiegeln, zwischen denen ein einziges Atom schwebt. „Das sind die besten Spiegel der Welt“, bemerkt der Max-Planck-Direktor. Die Garchinger Wissenschaftler animieren das Atom in seinem Spiegelkabinett dazu, ein einziges Lichtquant (Photon) entweder auszusenden oder aufzunehmen. Sie reduzieren also den Prozess, der in der mittäglichen Lichtflut milliardenfach abläuft, auf seinen elementaren Grundbaustein. Radikale Reduktion ist in der Experimentalphysik ein Schlüssel zu neuen Entdeckungen. Doch warum gerade ein Atom und ein Photon?

An dieser scheinbar einfachen Anordnung könne man „sehr, sehr“ faszinierende Eigenschaften von Quantensystemen in Reinform erforschen, betont Gerhard Rempe: „Mit solchen kleinen Systemen kann man in Bereiche der Quantenphysik vordringen, die großen Systemen verschlossen sind.“ Experimente mit vielen Atomen geben immer nur Durchschnittseigenschaften großer Ensembles preis – so wie man eine einzelne Geige in einem Orchester nicht hören kann.
Einen solchen reinen „Klang“ wollen Physiker heute aber im übertragenen Sinn erkunden, wenn sie elementare Quantensysteme mit einem einzigen Atom erforschen. Auf diese Weise lernen sie, wie die Quantenbausteine der Natur funktionieren. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bahnen auch den Weg zu einer zukünftigen Quanteninformationstechnologie.
Ein Kabinett mit zwei Superspiegeln
Mit ausgefeilten Experimenten können sie zudem das Spiel zwischen einzelnen Atomen und Photonen auf die Spitze treiben. „Und spielen wollen wir“, sagt Rempe, „nur so funktioniert Grundlagenforschung.“ Tatsächlich gelangen den Garchingern aufregende Beobachtungen auf dem fundamentalen Gebiet, das Max Planck und Albert Einstein vor mehr als hundert Jahren zu Entdeckern der Quantenwelt machte.

Wie aber lässt man ein einziges Atom zwischen zwei Spiegeln schweben? Christian Nölleke, der als Doktorand in Rempes Abteilung arbeitet, erklärt das im Labor: „Erst erzeugen wir eine Wolke von bis zu einer Million Rubidiumatomen.“ Diese Atome fangen die Physiker mit einer magnetooptischen Falle – also mit Laserlicht und Magnetfeldern – und frieren ihre Bewegung weitgehend ein. Da Bewegung gleichbedeutend mit Temperatur ist, kühlt das die Wolke bis knapp über den absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius ab. Aus dieser ultrakalten Wolke kicken die Physiker dann mit einer Lichtpinzette Atome zwischen die Spiegel. Sobald eines im Resonatorzentrum angelangt ist, fängt die Elektronik es mit Licht ein. „Das dauert nur wenige Sekunden“, erklärt Nölleke.
Und warum sind die Spiegel so wichtig? Diese Frage ist für Gerhard Rempe wesentlich. „So ein Atom ist ja ganz klein“, erläutert er, „und wenn ich von irgendwoher draufleuchte, dann treffe ich es gar nicht mit meinen Photonen.“ Erst durch den Trick mit dem Kabinett aus zwei Superspiegeln lässt sich dieses Problem knacken. „Morgens im Bad sind wir ja schon einmal zu zweit mit unserem Spiegelbild“, sagt Rempe, „und wenn wir nun einen zweiten Spiegel hinter uns halten, werden daraus viele Spiegelbilder.“ Die perfekten Garchinger Spiegel könnten unglaubliche hunderttausend Spiegelbilder erzeugen, allerdings würde kein Kopf zwischen sie passen. Sie haben ungefähr hundert Mikrometer (millionstel Meter) Abstand.